Mittwoch, 25. September 2019

Rezension: Große Elbstraße 7 von Wolf Serno

Titel: Große Elbstraße 7
Autor: Wolf Serno
Verlag: Rütten & Loening
Seitenzahl: 473 Seiten
Preis: 18,00 €
 Erscheinungsdatum: 13.09.2019
ISBN:978-3-352-00925-9


Handlung:
 
Hamburg, 1892
In Hamburg bricht an einem heißen Sommertag in den ärmeren Vierteln die Cholera aus. Johannes Dreyer, ein Arzt, der an den Krankenhäusern in Ungnade gefallen ist, ist sofort zur Stelle und kümmert sich um die Kranken. Zufällig trifft er Viktoria zur Haiden, die von ihren Eltern nach Lübeck geschickt wurde, um dort ein Lehrerinnenseminar zu besuchen. Viktoria war dort nicht glücklich und kehrte heimlich nach Hamburg zurück. Doch lange kann sie sich nicht versteckt halten, urplötzlich begegnet sie ihrem Vater, Chefarzt am Neuen Krankenhaus Eppendorf. Er verbietet ihr nicht nur den Umgang mit Johannes Dreyer, sondern nimmt sie wieder unter seine Fittiche. Findet Viktoria einen Weg, um ein eigenständiges Leben zu führen und ihren Wünschen nachzugehen? Und wäre es standesgemäß, ein Medizinstudium anzufangen oder gar dem Verein der Erika-Schwestern beizutreten?

Meinung:

Das Cover ist nostalgisch gehalten, im Vordergrund ist eine junge Dame zu sehen, die ein kleines Arztköfferchen in der Hand hält und über die Schulter selbstbewusst den Betrachter ausschaut. Fast wirkt sie etwas herablassend und aufmüpfig, scheint eine Darstellung von Viktoria, der Hauptprotagonistin, zu sein. Im Hintergrund befindet sich ein wunderschönes Häuschen mit einem gepflegten Garten. Ich stelle mir so das Haus in der Großen Elbstraße 7 vor. Insgesamt ein rundes, stimmiges und schönes Bild. Ich empfinde das Cover als sehr ansprechend.

In letzter Zeit sehe ich viele Bücher bei Instagram, die ich danach auch unbedingt haben will. Einerseits finde ich es richtig schön, dort neues zu entdecken und oft sind auch Bücher dabei, die ich nicht so auf dem Schirm hatte. Gleichzeitig wächst dadurch aber auch meine Wunschliste ins Unendliche. Dieses Buch habe ich auf Instagram entdeckt, fand die Meinung dazu richtig gut und die Inhalthaltsangabe hat mich direkt begeistert. Dementsprechend froh war ich, das Buch als Rezensionsexemplar zu erhalten.

Ich muss ehrlich sagen, dass mir selten ein Vorwort des Autors so gut gefallen hat. Es war informativ, gibt wichtige Hinweise und hat mich zum schmunzeln gebracht. Danach hatte ich noch mehr Lust, endlich mit dem Roman zu starten. Außerdem erhält man schon einen ersten Eindruck von den umfangreichen Recherchearbeiten des Autors, dadurch konnte ich das Gelesene noch mehr würdigen.
Es gibt einen sehr gelungenen und interessanten Start, ich hatte weder Probleme mit der Schreibweise, noch mit den Protagonisten oder gar der Handlung. Im Gegenteil. Das Lesen hat richtig Spaß gemacht, es ist einiges passiert, es gab aber auch nicht zu viel Drama. Alles wirkte echt und natürlich, es scheint, als würde der Autor Alltagsgeschichten von realen Figuren erzählen.

Sehr ansprechend und angenehm empfand ich die Schreibweise. Zum Glück gibt es nicht so viele medizinische Begriffe, die meisten sind auch mir als Laien geläufig gewesen. Außerdem fand ich es richtig gut, dass es zwar Einblicke in das Medizin- und Krankenwesen gab, diese aber nicht überhand nahmen. Es wechselten sich Szenen am Krankenhaus mit häuslichen Vorgängen ab und genau dieser Wechsel hat mich vollkommen überzeugen können.

Ich empfand es als angenehm, wie ruhig viele Ereignisse beschrieben wurden. Man spürt zwar deutlich die Gefühle der Protagonisten, doch diese Unruhe überträgt sich nicht auf den Leser. So war es mir möglich, trotz der anspruchsvollen Lektüre beim Lesen auch zu entspannen und auch mal die Gedanken schweifen zu lassen.
Für mich hat das Ende, vielleicht die letzten 50 Seiten, nicht ganz zu dieser ruhigen Handlung gepasst. Da gibt es doch einiges überraschendes und für meinen Geschmack geschieht einiges zu schnell oder es werden zu wenig Worte dazu gemacht. Das fand ich richtig schade, es hat die bisher ruhige Handlung aufgerüttelt.
Ich bin mir gerade gar nicht sicher, ob es sich hier um einen Einzelband handelt oder noch eine Fortsetzung folgen wird. Ich könnte es mir auf jeden Fall durchaus vorstellen, die Geschichte endet mit einigen offenen Fragen über die ich mir schon einige Gedanken gemacht habe.
Tatsächlich fand ich den Klappentext des Romans nicht ganz passend. Die dort erwähnten Geschehnisse stimmen zwar, decken aber nur einen winzigen Teil der Handlung ab. Eigentlich geschieht so viel mehr und der Roman beherbergt viele unterschiedliche Themen, sei es der medizinische Fortschritt, die Selbstbestimmung der Frau oder der Wunsch nach mehr Freiheiten, Lohn und Rechten der Arbeiter.

Im Verlauf der Handlung einige Jahre, die Handlung setzt 1892 und endet 1899. Oft lässt sich gar nicht so leicht erkennen, in welchem Jahr die Handlung stattfindet. Nur durch die Unterteilung in drei Teile gibt es eine zeitliche Einordnung, dort wird immer genannt, in welchen Monaten und Jahren die folgende Handlung stattfindet. Ziemlich selten wird in den Abschnitten das Jahr genannt, dagegen gibt es einige Hinweise auf die Jahreszeit oder die Monate.

Als Setting dient durchweg Hamburg, besonders die Unterschiede zwischen Arm und Reich waren eindrucksvoll gegenübergestellt. Und auch die Beschreibungen dessen waren top! Ich muss sagen, dass mir vor allem die Darstellung der Gängeviertel und die Wohnungen der armen Leute richtig gut gefallen hat. Sie waren bildhaft und lebendig, zeigten mit einfachen und wenigen Worten die wahre Welt einiger Bewohner Hamburgs. Dagegen wirken die wohlhabenden Straßen und Leute wie aus einer anderen Welt und ich fand es interessant, wenn es eine Vermischung der Welten gab, z.B.: wenn der reiche Professor zur Haiden das Gängeviertel erkundet und sieht, wie die Arbeiter leben.

Sehr hilfreich empfand ich die kleine Auflistung der handelnden Personen am Ende des Romans. Dort wird auch vermerkt, wer historisch verbürgte Personen sind. Dabei fand ich es überraschend, wie wenige wirklich gelebt haben. Anhand der Beschreibungen des Autors hatte ich das Empfinden, dass viel mehr tatsächlich gelebt haben, weil sie so lebendig und authentisch auftraten. Trotzdem wird in vielen Abschnitten schnell deutlich, wie ausführlich der Autor recherchiert hat und wie viele kleine historische Details in den Roman eingebunden wurden.

Mit den Protagonisten hatte ich wenige Probleme, sie waren interessant, freundlich, lebendig und mit besonderen Zügen dargestellt. Am sympathischsten waren mir meist die einfachen Leute St. Paulis. Sie waren unglaublich bodenständig, hatten ein gutes Herz, das sie gerne versteckt haben und waren füreinander da. Einmal in die Gemeinschaft aufgenommen, haben sie ihre Leute vollkommen unterstützt und einander geholfen. Diese Einheit und tiefe Freundschaft war einfach beeindruckend und wundervoll.
Die gesamte Familie von Haiden war interessant. Gerade bei den Eltern Viktorias fiel es mir unglaublich schwer, sie einzuschätzen, eine Bindung aufzubauen oder hinter ihre Fassade zu blicken. Sie blieben für mich immer etwas steif und nur selten blitzte ein menschlicher Funke durch, dies noch mehr bei dem Vater als bei der Mutter. Ich habe über ihre Charaktere ein bisschen nachgedacht und muss am Ende ehrlich sagen, dass es mich nicht sonderlich gestört hat, dass sie etwas distanziert dargestellt wurden. So verkörpern sie die angesehene Bürgerschicht perfekt und geben ein Bild dieser Gesellschaft mit allen Tabus, aber gern gesehenen Dingen.
Bei Viktoria brauchte ich einige Zeit, um mit ihr warm zu werden. Von Anfang an habe ich ihre Stärke bewundert, trotzdem fiel es mir ziemlich schwer, einen Draht zu ihr zu finden. Sie war mir am Anfang etwas merkwürdig, sie wirkte anfangs nicht selbstbewusst genug in ihrem Auftreten, erinnerte mich eher an einen Teenager, der unbedingt seinen Willen durchsetzen will. Erst später, als Vicki entdeckt, was sie will und eine Lösung findet, ihrem Wunsch nachzugehen, hatte sie meine Sympathie.

Fazit:

Das Buch war unglaublich interessant geschrieben, hatte eine wunderbare Schreibweise und realistisch dargestellte Charaktere, die mir meist sympathisch waren und oft bodenständig aufgetreten sind. Dazu war das Setting und die Unterschieden zwischen Arm und Reich hervorragend dargestellt und haben mir am Besten an der ganzen Handlung gefallen.
Zwei kleine Kritikpunkte habe ich: ab und an hat mir eine genauere Jahresangabe gefehlt und das Ende war hektisch und zu kurz dargestellt. Ich hätte mir ein paar mehr Erklärungen gewünscht und dafür gerne einige Seiten mehr gelesen. Im Gesamten kann ich das Buch auf jeden Fall empfehlen, es wurde hervorragend recherchiert und die Handlung ist öfter mal überraschend, auf jeden Fall immer Spannend gehalten.

Bewertung: 4,5 von 5 Sternen

MarySophie 

Vielen Dank an den Aufbau Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Diesen Post kennzeichne ich gemäß § 2 Nr. 5 TMG als Werbung.

 Interesse? Hier findet ihr den Roman!

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