Handlung
Berlin 1911
Meinung
Das Cover ist in neutralen und ziemlich erdigen Tönen gehalten. Daher springt beim ersten Hinschauen direkt die Schrift des Titels ins Auge, die in einem auffallenden Rot gestaltet wurde. Als zweites habe ich den kleinen Jungen ins Auge gefasst, der in einfacher Kleidung dasteht und auf das Gebäude in der Mitte schaut. Dieses ist der ehemaligen Kinderklinik Weißensee nachempfunden und daher sehr passend. So muss man als Leser dazu auch nicht erst im Internet nachschauen, sondern hat direkt ein Bild der Klinik im Gedächtnis.
Ich hatte das Buch erstmals in der Verlagsvorschau gesehen und mein Interesse wurde direkt geweckt. Nicht nur der Titel und das Cover empfand ich sofort als ansprechend, sondern auch der Klappentext und die Handlungszeit. Und als ich dann erstmals in eine Leseprobe reingeschaut habe, wurde ich auch von dieser überzeugt. Alles in allem hatte ich also einen sehr positiven und vielversprechenden ersten Eindruck und war ziemlich davon überzeugt, dass mir die Geschichte gefallen wird. Daher möchte ich mich wiederholt ganz herzlich beim Ullstein Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars bedanken, wodurch ich mir von dem Roman einen Eindruck machen konnte, den ich im Folgenden erläutern werde.
Es gibt eine interessante und einführende Gestaltung der Umschlaginnenseiten. Dort gibt es jeweils ein paar Sätze zu den beiden Hauptprotagonistinnen Emma und Marlene, sowie zu der titelgebenden Kinderklinik Weißensee. Man wird ein wenig auf die Protagonisten und den Haupthandlungsort eingestimmt und kann sich bereits ein erstes Bild von beidem machen. Zudem werden wenige Worte zu den Ambitionen der beiden Schwestern verloren und man kann daher bereits ein wenig spekulieren, wie die Mädchen ihre Ziele erreichen und auch während des Lesens hatte ich diese Sätze stets vor Augen und habe aufgepasst, inwieweit sich die Wünsche erfüllen werden.
Danach startet die Handlung und bereits der Prolog hat mich in seinen Bann gezogen. Er spielt ein paar Jahre vor dem Beginn der Hauptgeschichte und gibt einen Blick auf die kindlichen Charaktere von Emma und Marlene, erklärt auch ein wenig, weshalb sie am Ende solche ausdrucksstarken Wesen entwickelt haben. Zudem erhält man einen Blick auf ihren familiären Hintergrund und irgendwie hatte ich dadurch direkt eine Bindung zu den zwei Mädchen aufgebaut.
Was mir schon bei dem Prolog aufgefallen ist und was sich auch später fortgesetzt hat: vor dem Anfang neuer Kapitel gibt es stets das genaue Datum der folgenden Handlung. So kann man immer schauen, wie viel Zeit seit dem Beginn der Handlung vergangen ist, welche Jahreszeit mittlerweile herrscht, wie weit die Lehrzeit der Schwestern fortgeschritten ist und wie viel Zeit noch bis zur Prüfung bleibt. Es ist immer möglich, sich zeitlich zu orientieren und das mag ich allgemein bei historischen Romanen immer sehr gern!
Mir ist der Start in die Geschichte ziemlich leicht gefallen. Man kann sich in Ruhe einen ersten Eindruck von Marlene und Emma verschaffen und schon nach kurzer Zeit kristallisieren sich bestimmte Charaktermerkmale einer jeden heraus, die sich mit zunehmender Handlung immer mehr vertiefen. Zudem mag ich es, dass man die Schwestern auf ihrem Weg in die Kinderklinik und bei dem Antritt zur Tätigkeit als Lernschwestern begleitet und man so vieles durch die Augen von ihnen sieht. So ist man immer auf demselben Wissenslevel wie die Beiden und kann sich zusammen mit ihnen von den Gebäuden, aber auch von den anderen Protagonisten ein Bild machen.
Und nicht nur davon hatte ich einen positiven Eindruck, sondern auch von der Schreibweise. Diese war für mich leicht und locker lesbar, wobei häufig der Ernst von verschiedenen Situationen hervorkommt und es gibt immer wieder stimmungsvolle Abschnitte. Man lernt nicht nur die Figuren gut kennen, sondern auch das ganze Gebäude der Kinderklinik und immer wieder gibt es auch Informationen über die Kinderpflege und die Politik. Und anhand der beiden zuletzt genannten Punkte gibt es auch immer wieder Abschnitte, die mehr Anspruch haben und der Geschichte Authentizität verleihen.
Wie ich gerade schon kurz erwähnt hatte, gab es immer wieder stimmungsvollere Szenen, in denen man mit den Protagonisten mitfühlt und somit eine Bindung zu ihnen aufbaut. Die Emotionen sind sowohl freudiger, als auch von trauriger oder wütender Natur, die Protagonisten zeigen verschiedene Facetten von sich selbst und das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Empfindungen aus, die sich auf den Leser übertragen. Dabei wurde nicht jede Szene mit Stimmungen gespickt, oft wird die Handlung neutral erzählt, aber es gibt halt immer mal wieder ein paar Abschnitte, die emotionaler sind und mir vollkommen ausreichen. In diese Momente wurden viele Mühen vonseiten der Autorin reingesteckt, um sie einzigartig zu machen, was sehr gut gelungen ist!
Fast die gesamte Handlung spielt sich in der Kinderklinik Weißensee ab, nur wenige Szenen finden außerhalb des Komplexes statt. Dabei merkt man deutlich, dass sich die Autorin über das Gebäude und die gesamte Anlage gut informiert hat und sie dem Leser ein authentisches und lebendiges Bild bieten will. Anfangs brauchte ich einige Zeit, um die Dimensionen der Klinik zu begreifen und zu verstehen, aber als das einmal geschehen war, hatte ich mir dem Setting absolut keine Probleme mehr. Ich konnte mir sowohl die Hörsäle, als auch die privaten Räume der Lernschwestern gut vorstellen und hatte auch von den wenigen anderen Orten, die sich außerhalb der Anlage der Klinik befinden, ein solides, mal mehr, mal weniger farbenfrohes Bild vor Augen.
Immer wieder tauchen im Text historische Fakten zu den verschiedensten Themen auf. Regelmäßig gibt es Gespräche über die Politik und neueste Geschehnisse im Land. Dazu lernt man allerhand über Kinderklinik Weißensee, die Kinderpflege, aber auch über das Ansehen und die Vorurteile von Waisenkindern. Ständig gibt es kleine Einschübe, anhand derer man ansatzweise nachvollziehen kann, welche Recherchearbeit die Autorin auf sich genommen hat, um ein so rundes und mitreißendes Werk zu schreiben. Jede ihrer Aussagen hat Hand und Fuß und wurde so vorgestellt, dass man sie direkt beim Lesen aufnehmen und verarbeiten kann. Die Fakten fügen sich stimmig in die Geschichte ein und verleihen ihr einen hohen historischen Wert.
Ich habe die Geschichte mit viel Interesse verfolgt und sie auch flüssig und mit viel Freude gelesen. Dazu haben auch versteckte Bemerkungen und Hinweise auf Geheimnisse beigetragen, die Platz zum spekulieren gegeben haben. Aufgrund dieser Aussagen bleibt die Spannung auf einem guten Niveau, für meinen Geschmack entstanden keine Längen, ich hatte aber auch nie das Gefühl, die Geschichte würde zu flott erzählt werden. Es liegt ein angenehmes Erzähltempo vor, welches sich positiv auf die Spannung auswirkt und letztendlich wird man dazu verleitet, immer weiter in die Geschichte einzutauchen und wissen zu wollen, was mit manchen Bemerkungen gemeint ist und wie sich manche Konflikte auflösen.
Durchweg empfand ich alle Protagonisten als sehr detailliert und einzigartig beschrieben. Egal, ob es sich um das Aussehen, den Charakter oder bestimmte Ticks handelt, ein jeder wurde so dargestellt, dass er sofort im Gedächtnis bleibt und somit einen hohen Wiedererkennungswert bietet. Und selbst die Personen, die seltener auftreten und eine untergeordnetere Rolle spielen wurden mit hervorragenden Merkmalen ausgestattet und sind damit den Hauptfiguren ebenbürtig.
Fazit
Ich weiß selbst nicht wieso, aber bereits vor dem Lesen hatte ich eine bestimmte Erwartungshaltung an den Roman und habe mir viel erhofft. Und mit jeder Seite, die ich gelesen habe, wurden diese Erwartungen immer mehr erfüllt und ich von der Geschichte wie magisch angezogen. Es gibt wirklich keinen einzigen Aspekt, den ich kritisch betrachten würde und der mich nicht überzeugt hat. Wirklich alles hat gestimmt. Angefangen von der Gestaltung des Buches, über die Schreibweise, die Protagonisten, das Setting und die Einbindung historischer Aspekte. Anhand all diesen genannten Punkten kann nur eine gute, spannende und empfehlenswerte Geschichte entstehen, die nicht nur schöne Lesestunden bereitet, sondern auch die Vorfreude auf die Fortsetzung steigert.
Bewertung: 5
von 5 Sterne
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