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Dienstag, 7. April 2020

Rezension: Die Spionin von Imogen Kealey

Titel: Die Spionin
Originaltitel: Liberation ( Aus dem Englischen von Gabriele Weber-Jarić )
Autorin: Imogen Kealey
Verlag: Rütten & Loening
Seitenzahl: 457 Seiten
 Preis: 18,00 €
Erscheinungsdatum: 18.02.2020
ISBN: 978-3-352-00946-4 

https://www.bic-media.com/dmrs/cover.do?isbn=9783352009464&width=undefined

Handlung:

Marseille 1940
Im normalen Alltag ist Nancy die Verlobte eines reichen, angesehenen Mannes, sie stehen kurz vor der Hochzeit. Sie mag schicke Mode, gutes Essen und konsumiert gerne diverse Luxusartikel. Doch Nancy hat auch eine andere Seite: sie ist eine Agentin der Allierten, erhält von den Nazis den Namen „weiße Maus“ und auf ihre Person ist ein Kopfgeld in Millionensumme ausgesetzt. Lange Zeit vermuten die Deutschen, dass sich hinter diesem Spitznamen ein Mann, vielleicht sogar Nancys Mann verbirgt. Doch erst nach dessen Festnahme merken sie, dass die junge Frau nicht so unschuldig ist, wie sie gedacht haben...
Nancy kann gerade noch so nach England fliehen, sie wird zur Geheimagentin ausgebildet und bereitet sich auf eine Rückkehr nach Frankreich vor. In den Wäldern der Auvergne übernimmt sie das Kommando über Tausende von Partisanen, legt den Nazis immer wieder Steine in den Weg und es kommt auch zu direkten Kämpfen. Und dabei verliert Nancy nie die Sorge um ihren Mann aus den Augen, der in immer größerer Gefahr schwebt...

Meinung:

Das Cover ist nicht schlecht, es wirkt realistisch und normal. Ich kann mir zudem gut vorstellen, dass es sich bei der Dame tatsächlich um Nancy Wake handelt, die gerade mit ihrem Fahrrad eine kleine Tour macht, die Gegend auskundschaftet oder ähnliches. In dem Sinne finde ich es wirklich gelungen. Doch ich muss ehrlich sagen, dass es mir in einer Buchhandlung nicht wirklich aufgefallen wäre, vielleicht ist es dafür zu düster, vielleicht nicht auffällig genug. Ich kann es selbst nicht genau sagen, kann nur mutmaßen, was mir daran nicht vollkommen passt. Nur aufgrund des Covers hätte ich das Buch bestimmt nicht in die Hand genommen...

Ich hatte das Buch bereits bei Vorablesen gesehen, es klang interessant, in der gleichen Woche gab es aber auch eine Neuerscheinung, die mich mehr gefesselt hat. Daher war es für mich eine sehr schöne Überraschung, dass ich den Roman unerwartet vom Verlag zugeschickt bekommen habe. Ich habe nicht so viele Kenntnisse über die Résistance und finde es wichtig, auch über diese Menschen und ihre Ziele mehr zu lernen. Das ist zudem ein Thema, über welches in der Schule, aber auch in meinem Studium nie groß berichtet wurde, daher bin ich sehr froh, jetzt noch einiges darüber zu erfahren. Zudem ist mir der Name Nancy Wake vollkommen unbekannt und ich war sehr gespannt darauf, die Dame anhand des Buches kennenzulernen.

Ich hatte einen sehr angenehmen Start in den Roman, die Handlung beginnt überraschend ruhig, man hat Zeit, sich von Nancy, ihrem Verlobten und den Freunden ein Bild zu machen. Zudem fand ich es interessant, wie sich Nancy auf einem gesellschaftlich angesehenen Parkett bewegt und mit was für luxuriösen Artikeln sie sich normalerweise umgibt. Ich fand es gut, dass die Handlung nicht direkt blutig und brutal beginnt, man erhält einen Einblick in Nancys Leben, aber auch in die politische Situation und das Weltgeschehen.
Ich habe nach wenigen Seiten großen Gefallen an der Schreibweise gefunden, diese war teils sehr ausschmückend, manchmal fast schon karg und bildete so ein gutes Gleichgewicht zwischen zahlreichen, bildhaften Beschreibungen und Momenten, in denen zu viele Worte nicht angebracht wären.
Bei diesem Buch ist es zugleich Fluch, als auch Segen, dass man sich viele Szenen gut vorstellen kann. Teilweise waren die Ereignisse doch recht brutal und auch diese Momente ließen ein Bild vor meinen Augen entstehen. So wirkt die Handlung zwar authentisch und wahrheitsgetreu, doch viele Szenen wollte ich ich mir gar nicht sooo deutlich vorstellen. Leider habe ich kein Mittel gefunden, um meine Fantasie in Schach zu halten.

Am Anfang konnte ich mich noch recht gut zeitlich in der Geschichte zurechtfinden, ich konnte immer grob einschätzen, wie viel Zeit seit dem Beginn der Handlung vergangen ist. Erst als Nancy in der Auvergne landet und agiert wurde es schwierig. Gefühlt vergeht in einem Abschnitt unfassbar viel, gleichzeitig aber auch recht wenig Zeit. Und das hat dazu geführt, dass mir ein Zeitgefühl irgendwann vollkommen abhanden kam und ich mir dazu mehr Anhaltspunkte gewünscht hätte. Selbst eine Einstreuung des Monats hätte mir schon viel genützt.

Es gibt viele politische Informationen, aber auch solche, die sich mit der Weltgeschichte befassen. Einige Fakten waren mir bereits bekannt, vieles habe ich erstmals gelesen und mir hat es gefallen, wie das Autorenduo wichtige Details in die Handlung eingebunden hat. Man hat nicht auf jeder Seite unglaublich viele Informationen, die man gar nicht recht verdauen kann, sondern Fakten werden immer mal wieder eingestreut oder so beschrieben, dass Nancy sie direkt miterlebt. So hatte ich nie das Gefühl, überfordert oder unterfordert zu sein.
Viele Szenen haben sehr lebendig gewirkt, ich habe mir öfters gedacht, dass sie so wahrheitsgetreu wirkten, dass sie tatsächlich so hätten stattgefunden haben können. Das lag vielleicht auch an den zahlreichen Protagonisten, die wirklich gelebt haben, auf jeden Fall kann man darauf schließen, dass hinter dem Buch eine starke und langwierige Recherche steckt, um der berühmten Nancy Wake gerecht zu werden. Mit diesem Buch ist es dem Autorenduo auf jeden Fall gelungen, der Frau neues Leben einzuhauchen und sie dem Leser näher zu bringen, aber auch dazu zu verleiten, nach weiteren Informationen zu suchen. Nachdem ich das Buch beendet hatte, habe ich noch einige Zeit damit verbracht, Nancy Wake zu googeln und mehr über ihren bemerkenswerten Einsatz zu erfahren. Am liebsten hätte damit schon während des Lesens begonnen, hatte aber Angst, dass mir Informationen, wie ein Kind oder das Todesdatum vorweggenommen werden.

Auf den ganzen 457 Seiten begleitet man als Leser Nancy auf ihrem Lebensweg. Sowohl in der Zeit, als sie noch heimlich als „Weiße Maus“ in Marseille agiert und kurz vor der Hochzeit mit Henri steht, als auch während ihrer Ausbildung und ihrem Wirken in den Wäldern der Auvergne. Viele Szenen finden in der freien Natur statt, es ist irgendwann fast schon eine Seltenheit, dass sich Nancy in einem Haus aufhält.
Ich konnte mir sowohl die Häuser, als auch die Wälder sehr gut vorstellen und war mit dem Setting vollkommen zufrieden. Anfangs erschien es mir noch etwas unrealistisch, dass Nancy, die mittlerweile doch einen gewissen Luxus gewöhnt ist, sich so einfach in den Wäldern zurechtfindet und sich dort einfach so häuslich niederlassen kann. Für mich waren dies anfangs Gegensätze, die ich mir nicht miteinander vorstellen konnte, doch hier habe ich mich sehr getäuscht. Nancy wirkte auch in einem einfachen Setting vollkommen zufrieden und konnte an unterschiedlichsten Orten leben, ohne darüber zu klagen.

Stets war die Handlung voller Spannung beschrieben, ich wollte immer mehr von Nancy erfahren und konnte dementsprechend das Buch nur schwer aus der Hand legen. Zudem hatte mir die Schreibweise auch so gut gefallen, was mich zu einem schnellen Lesen verleitet hat.
Es gibt nur sehr wenige Kapitel, in denen ruhige Momente geschildert werden und nicht irgendwelche Strategien oder Kämpfe geschildert werden. Doch wenn es solche gab, haben sie eindeutig etwas Ruhe in den Roman gebracht, nicht nur Nancy, sondern auch der Leser konnte mal kurz entspannen bevor es wieder aufregender wurde.
So gab es stets eine steil aufsteigende Spannungskurve, das Ende des Zweiten Weltkrieges ist zwar bekannt, für mich blieb es aber spannend. Ich wusste nicht, ob Nancy den Krieg überleben wird und wie ein mögliches Weiterleben aussehen könnte. Ich bin der Handlung also bis zum Ende voller Aufmerksamkeit gefolgt und habe auch das informierende und auf weitere Quellen verweisende Nachwort mit großem Interesse gelesen.

Wenige Kapitel bieten einen anderen Blickwinkel, einmal den von Nancys Verlobten Henri, der aufgrund der Vermutung, dass er der Résistance angehört, von den Nazis verhaftet wird. Zum anderen gibt es ab und an ein paar Zeilen aus der Sicht des Agentenjägers Major Böhm. So gibt es immer mal Momente, in denen man etwas Abstand zu Nancy gewinnt und, was ich ganz wichtig fand, man kann sie auch aus der Sicht anderer Personen erleben. Henri betrachtet und schätzt seine Verlobte natürlich ganz anders ein als Böhm und ihr Wesen wurde so für mich vielfältiger.

Ich glaube, anhand der Vielzahl von Protagonisten wäre es ganz gut gewesen, die wichtigsten und am häufigsten auftauchenden in einem kleinen Register unterzubringen. Einfach um stets einen Überblick zu haben und nie durcheinander zu kommen. Gerade am Anfang, als Nancy nach ihrer Ausbildung in den Wäldern landet und Kontakte mit den Anführern knüpft, ist es mir schwer gefallen, mir alle Namen zu merken und auf Knopfdruck wieder aufzurufen.

Im Mittelpunkt steht stets Nancy, eine unglaubliche junge Frau, die man nur bewundern muss. Ich fand sie nicht durchweg sympathisch, manchmal war mir ihre Sprache zu vulgär und ich habe mich mit ihrem Auftreten etwas schwer getan. An anderen Stellen war ihre Art sehr menschlich und normal, man hatte plötzlich einen ganz anderen Blick auf ihren Charakter und ihr ist meine Sympathie nur so zugeflogen.
Oft war ihr Auftreten recht kühl, distanziert wodurch es mir schwer gefallen ist, ihr Wesen zu mögen. Ich habe sie respektiert und für ihre taktischen Züge bewundert. Doch gerade wegen ihres Kampfeinsatzes und ihrer Art zu kämpfen, hatte ich gleichzeitig etwas Furcht vor Nancy. Sie war oft schonungslos und trat in manchen Situationen herzlos und resolut auf, was mir die Bindung erschwert hat.
An ihrem ganzen Charakter ist ein großer Wandel zu sehen. Anfangs war Nancy lediglich geheime Agentin, hat harmlos u.a. bei Fluchten mitgewirkt, hatte aber nie etwas mit dem Töten zu tun. Sie war eine verwöhnte reiche Verlobte, wurde von ihrem Mann geliebt und umsorgt und Nancy war mit sich vollkommen im Reinen. An diesen Stellen hätte ich sie zu gerne kennengelernt, sie war sympathisch und charismatisch. Doch je länger sich Nancy in den Bergen aufhält, desto stärker, reifer und erwachsener, aber auch skrupelloser wird sie. An ihrem Charakter hat man deutlich gemerkt, wie sehr der Krieg und das Erlebte einen Menschen ändert.

Fazit:

Puh, das ist eine Geschichte, die man nicht so schnell verdaut und die hängen bleibt. Ich wollte einerseits immer weiterlesen und mehr über den Fortgang der Handlung wissen. Und im gleichen Zuge hatte ich Angst vor dem Ende, weil ich im Unwissen über Nancy und ihr Schicksal war und ihr nur das Beste wünsche. Es war also ein Teufelskreis, der auf mich eine anziehende Wirkung hatte.
Insgesamt bin ich tief beeindruckt von Nancy, ihrem Auftreten und ihrem Geschick, sich Manöver auszudenken und zu planen. Leider wird die Geschichte von Nancy Wake zu selten behandelt und wieder ans Tageslicht geholt, die Frau hätte es mehr als verdient. Ich bin sehr froh das Buch gelesen zu haben und mich mit ihr zu befassen, mit ihr mitzufiebern und sie als Figur kennenzulernen. Trotz kleiner Makel, die ich bereits angesprochen habe, ist das Buch eine große Empfehlung meinerseits. Es gibt einen echten, realistischen und teils brutalen Blick auf den Zweiten Weltkrieg, der mahnt und belehrt.

Bewertung: 4,5 von 5 Sternen

MarySophie 

Vielen Dank an den Aufbau Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars! 
Diesen Post kennzeichne ich gemäß § 2 Nr. 5 TMG als Werbung.


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